Theater Narrenschiff

Silvia Kleinwechter

15 Jahre - 15 Fragen- Das tn-Ensemble interviewt sich

André Decker hat seine langjährige Darstellerin und Ensemblekollegin Silvia Kleinwechter für euch interviewt. Silvia kam durch eine Gastproduktion der Studiobühne Lindenbrauerei, unter der Regie von Kirsten Ullrich-Klostermann (Das Attentat) ins tn-Ensemble. Seit 2006 hat sie an die 20 Rollen fürs narrenschiff verkörpert und war zuletzt in Arthur Millers EIN BLICK VON DER BRÜCKE auf unsere Bühne zu sehen.

 

Silvia Kleinwechter . Ensemblemitglied seit 2006

„Für mich sind die Nuancen spannend.“

André: Meine liebe Silvia, ich freue mich sehr, dir ein paar Fragen zu stellen! 15 Jahre tn! Und du bist auch schon seit 2006 im Ensemble. Was fällt dir als erstes ein?

 

Silvia: Dass ich großes Glück hatte im Jahr 2006 zu diesen wunderbaren Menschen zu stoßen, von denen ich einige heute Freunde nennen darf.

 

André: Viele im Ensemble nennen dich „die Muddi“ weil du das Herz in unserer Theaterfamilie bist und dich immer so gut um uns sorgst. Und auf der Bühne hast du auch schon zweimal meine Mutter gespielt! Aus persönlichen Gründen ist es dir jedoch nicht mehr möglich in so viele Produktionen zu spielen, wie ich dich gerne besetzten würde. Wie ist es für Dich nach einem oder zwei Jahren Pause wieder ins tn zu kommen.

 

Silvia: Das Narrenschiff ist für mich ein besonderer Ort, ein Fixpunkt. Ich werde stets mit sehr viel Wärme und Freundlichkeit wieder aufgenommen, auch von den „jungen Wilden“, teilweise könnte ich ja schon theoretisch deren Mutter sein.

Man gibt sehr viel als Ensemblemitglied, aber man bekommt für die Zeit der Produktion eine kleine Theaterfamilie geschenkt mit allem was dazu gehört – ob man will oder nicht :).

 

André: Deine erste Rolle im tn unter meiner Regie war Camilla Macauly in DAS BACCHANAL. Wir haben da ein Liebespaar gespielt, was mir sehr viel Freude bereitet hat! Kannst du dich noch an die ersten Proben erinnern? Was hast du damals gedacht und wie hast du deine erste Produktion im tn erfahren?

 

Silvia: Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir viel gelacht haben bei den Proben. Alle haben mich sehr herzlich aufgenommen und mir einen leichten Einstieg bereitet. Auch wenn ich mit meinem Text gehadert habe, war da sehr viel Wohlwollen von allen. Das Bacchanal war allein schon wegen der anderen Darsteller eine sehr prägende und besondere Produktion.

 

André: Und seit dem hast du viele tolle Frauencharaktere auf unserer Bühne gezaubert. Du warst in 19 Produktionen bisher dabei. Welche Rolle war dir die Liebste?

 

Silvia: Ich habe die Frage befürchtet und es fällt mir wirklich schwer. Darf ich mehrere nennen? Ulla (Future Deluxe) und B. (Ein Blick von der Brücke), weil beide mir viel abverlangt haben. Und natürlich Beatrice (Viel Lärm um Nichts), weil sie eine Herzensrolle ist.

 

André: Welche tn-Produktion mochtest du am liebsten als Zuschauerin und welche als Darstellerin?

 

Silvia: Das kann ich gar nicht auf eine reduzieren. Es waren so viele bewegende und besondere Stücke. Aber ganz oben auf der Liste stehen Le sacre du printemps und Ich, ein Jud. Als Darstellerin kann ich es wirklich nicht sagen; alle 19.

 

André: Als Darsteller zweifelt man in den Probenphasen naturgemäß relativ häufig an sich selbst. Gab es mal eine Produktion in der du mit deiner Rollenfindung besonders gehadert hast? Warum?

 

Silvia: Das hat es ganz bestimmt gegeben, aber ich muss gestehen, dass ich es wohl erfolgreich verdrängt habe.

 

André: Du hast in den vergangenen Jahren oft sehr starke Frauen gespielt. Ich denke da an die ganzen Shakespeare-Königinnen und der gleichen. Diese Charaktere haben alle viel Macht und Einfluss und strotzen vor Selbstbewusst sein. Fällt es dir leicht, dich in diesen Typ Frau zu versetzten? Und spielst du lieber diese Rollen, oder das genaue Gegenteil, wie etwa eine leidende Figur wie Elizabeth Proctor in HEXENJAGD oder B. in EIN BLICK VON DER BRÜCKE?

 

Silvia: Das Schöne ist ja, dass diese Figuren nicht nur stark, eiskalt und selbstbewusst sind und nicht nur leidend und geborene Opfer. Für mich sind die Nuancen spannend.

Ich mag beide Extreme, aber noch mehr das Ungesagte diese Figuren. Wann bricht die Fassade einer Königin und wann staunt man über eine Frau Proctor, weil man ihr eine gewisse Stärke nicht zugetraut hätte? Meist sind es nur kurze Momente, aber wenn der Zuschauer das mitbekommt, dann haben wir unsere Aufgabe nicht ganz schlecht gemacht.

Das macht für mich den Reiz aus

 

André: Das Schöne, wenn man so viel Jahre zusammen auf der Bühne steht und probt, ist, dass es unzählige Anekdoten gibt. An Welche denkst du gerne zurück?

 

Silvia: Es gibt auf jedem Fall sehr viele denkwürdige Momente. Aber ich halte es da wie die Briten – A Lady never tells.

 

André: Hattest du mal einen besonders intensiven Moment auf der Bühne, der dich beim Spiel besonders berührt hat?

 

Silvia: Mich berührt immer dieser Moment der Erkenntnis sehr. Wenn meiner Figur klar wird, dass nichts so ist, wie sie zu träumen gewagt hat und sie, was auch immer sie sich wünscht es um keinen Preis (zurück) bekommen kann. Daraus kann etwas starkes Neues entstehen, oder es ist ihr Untergang.

 

André: Wir dürfen ja als Darsteller oft die schönsten Sätze sagen, die je geschrieben wurden. Hast du ein Lieblingszitat, aus unseren Stücken?

 

Silvia: Hamlet, alles was lebt muss sterben. ( im Original „All that lives must die, passing through nature to eternity.“)

 

André: Was ist für dich Theater und warum spielst du gerne Theater?

 

Silvia: Theater ist wie ein Vergrößerungsglas über unserer Gesellschaft. Es holt vergangene und aktuelle Themen ganz nah an den Menschen. Das Wunderbare ist, dass der Zuschauer nicht umschalten kann, er wird nicht mit hunderten von Bildern pro Minute geflutet. Er entscheidet sich für eine Sache und lässt sich davon unterhalten und im Idealfall auch berühren.

Für mich persönlich ist das Theaterspiel ein wertvoller Ausgleich. So zu sagen „die Flucht in andere Welten“.

 

André: Oftmals müssen unsere Bühnenfiguren sehr anstrengende emotionale Dinge durchleben. Nimmt dich das persönlich mit, wenn du so etwas probst? Nimmst du auch mal „was mit nach Hause“?

 

Silvia: Einiges geht schon an die Nerven und ist in dem Moment des Spiel eine emotionale Achterbahnfahrt (beklemmend intensiv – wie die Zeitung es eine Zeit lang immer gerne bei uns schrieb). Aber nach Hause nehme ich das nicht. Wenn ich aus dem Probenprozess komme, dann lege ich diese Gefühle ab.

 

André: Du bist für mich die mit Abstand am meist aufrichtigste Person in deiner Darstellung, wenn es um Weinen auf der Bühne geht. Du hast mich bestimmt schon hundert Mal zu Tränen gerührt und ich habe das Gefühl, dass du Wasser auf Knopfdruck aus deinen Augen fließen lassen kannst. Was ist dein Geheimnis? Wie machst du das?

 

Silvia: Oh, danke. Auf Knopfdruck geht es aber nicht. Die Situationen die mit Tränen enden bauen sich ja auf. Ich greife auf Gefühle zurück, die uns allen bekannt sind. Angst, Trauer, Verlust, Demütigung, Kummer und gebe sie dann in dem Moment frei.

 

André: Was schätzt du am tn?

 

Silvia: Die Möglichkeit mit Menschen zusammen zu kommen, die ich sonst vermutlich nie in meinem Leben getroffen hätte.

 

André: Was wünscht du dir für die nächsten 15 Jahre tn?

 

Silvia: Vor allem natürlich, dass die Menschen unsere Kunst auch weiterhin sehen möchten und schätzen.

Interview, Sommer 2017