Theater Narrenschiff

Cäcilie Möbius

15 Jahre – 15 Fragen . Das tn-Ensemble interviewt sich.

Heute hat André Decker seine langjährige Freundin, und Frau der ersten Stunde, Cäcilie Möbius interviewt. Cilly stand seit Andrés erster Inszenierung fürs tn „Politisch Korrekt?-Oder das letzte Abendmahl“ 2003 neben ihm auf der narrenschiff Bühne und war fünf Jahre in Folge in fast jeder Produktion zu sehen. Mit unvergesslichen Rollen wie Harper in Tony Kuschners ANGELS IN AMERICA oder Virginia Woolf in AUF EWIG DIE STUNDEN hat Cilly unvergessliche narrenschiff Momente bei uns gelassen, als sie dann nach Berlin ging. In den letzten Jahren ist sie aber immer wieder als Gast auf die tn-Bühne zurückgekommen und ist in dieser Spielzeit als Lady Brecknall in Oscar Wildes DIE WICHTIGKEIT, ERNST ZU SEIN zu sehen.

Cäcilie Möbius . Ensemblemitglied seit 2003

„Theater ist ein Ort der Träume. Und ein Ort der Möglichkeiten. Im Theater ist alles möglich.“

André: Liebe Cilly, 15 Jahre theater narrenschiff! Ist das zu glauben? Wo ist die Zeit hin? Hättest du damals gedacht, als ich dich 2002 aus Amsterdam anrief und fragte, ob du nicht Lust hättest, in einem Theaterstück mitzuspielen, was ich gerne im theater narrenschiff inszenieren wollte, dass wir 15 Jahre später jetzt hier sind?

 

Cäcilie: Das hätte ich echt nie gedacht. Es war eine aufregende Zeit damals. Man darf ja nicht vergessen, dass wir diese Produktion quasi als Gäste im „alten“ narrenschiff gemacht haben, und dieses war ja zu dem Zeitpunkt, als wir im Dezember 2002 mit den Proben begonnen haben, erst drei Jahre in der neuen Spielstätte der Lindenbrauerei. Ich denke, wir sind da schon als junges Ensemble mit einer moderneren Inszenierung aufgefallen. Vor allem wurde ein neues und jüngeres Publikum angesprochen, was ich sehr wichtig finde.

 

André: Wir hätten aber auch nicht gedacht, das POLITISCH KORREKT? ODER DAS LETZTE ABENDMAHL so erfolgreich sein würde. Ich glaube das haben wir über 20 Mal vor ausverkauftem Haus gespielt. Kannst du dich noch an eine lustige Anekdote aus der Zeit erinnern?

 

Cäcilie: Die schönsten Anekdoten waren bei allen Stücken eigentlich die Versprecher. Bei „Politisch korrekt“ zum Beispiel: „Ich habe einen Mercedes gefunden, Braujahr ’86.“

Oder „Gefährliche Liebschaften“: „Er hat den Wunsch, ihre Tochter zu urinieren“

Bei einer Vorstellung von „Dreck“ habe ich Marco in seiner Rolle versehentlich Joe genannt statt Bruce – ich war wohl in Gedanken bei „Angels in America“. Sein Blick war unbezahlbar verdattert.

 

André: Du hast in den ersten 5 Jahren des „neuen narrenschiff“ fast in jeder Produktion mitgespielt. Du was also quasi die First Lady des narrenschiff. Ich habe mal nachgezählt: du hast von 2003-2008 in 17 Produktionen mitgewirkt! Hast du eine Lieblingsrolle aus dieser Zeit? (Warum grade diese Rolle, was verbindest du mit der Probenzeit?)

 

Cäcilie: Das waren ganz besondere Jahre in meinem Leben, die mich sehr geprägt haben. Ich habe wirklich jede Rolle gerne gespielt, aber natürlich gab es besondere Favoriten. Sue in „Bash“ mit dir, André, war eine sehr intensive Erfahrung. Virginia Woolf in „Auf ewig die Stunden“ war auch ganz wichtig. Camilla, Lottchen und Antonia sind auch Rollen gewesen, an die ich sehr gerne zurück denke. Eigentlich ist ja jede Rolle etwas besonderes, aber manche bleiben mehr hängen als andere.

Meine ewige Lieblingsrolle wird aber wohl Harper Pitt in „Angels in America“ bleiben. Sie ist ein so starker, sensibler, hellsichtiger und liebenswerter Charakter.

Zum ersten Mal habe ich Harper 2003/2004 in der Szenencollage „Episoden des täglichen Wahnsinns“ gespielt und die Rolle sofort geliebt. Die Proben und Vorstellungen 2005 in der Breitenbach-Halle waren etwas sehr besonderes. Wir waren ein tolles Team und jeder Abend vor 400 ausverkauften Plätzen war eine wunderbare Erfahrung. Außerdem hatte ich mit dir, Nils und Marco total vertraute und fantastische Spielpartner!

 

André: Und dann bist du zu neuen Ufern gezogen und bist nach Berlin gegangen. Das war bestimmt nicht leicht, nach so intensiven Jahren mit dem Ensemble und unserer Arbeit, dem Theater den Rücken zu kehren, oder?

 

Cäcilie: Es hat viel Zeit gebraucht, mich für diesen Schritt zu entscheiden. Großer Fisch in kleinem Teich versus Mini-Fisch im Riesensee: das sind zwei Welten. Beides hat natürlich Vor- und Nachteile. Für mich war die Entscheidung damals richtig; ich musste unbedingt in die Großstadt. Ich liebe Berlin wirklich, aber vermisse das narrenschiff und meine Freunde und Kollegen dort sehr. Auch einfach das Ruhrgebiet und sein Menschenschlag fehlen mir hier im eher ruppigen Berlin. Wer weiß...

 

André: Aber wir haben uns ja nicht aus den Augen verloren! Du bist zu unserer 10 Jahre Geburtstagsgala nach Unna gekommen und wir haben noch mal einen Zusammenschnitt aus unserer Warhol Produktion DRECK von 2007 gespielt. Das war ein Spaß! DRECK ist wirklich eines meiner absoluten Lieblingstücke und ich habe das so gerne mit dir gespielt! Wie war es für dich nach ein paar Jahren Pause auf die narrenschiff Bühne zurück zu kommen?

 

Cäcilie: Das war einfach nur schön! Ein grandios-lustiges, absurdes Stück. Diese lange Szene mit dir und Marco zu spielen, war Freude pur! Aber auch die ganzen anderen durchgeknallten Charaktere sind legendär für mich. In der Inszenierung von 2007 habe ich die Szenen auf der Seitenbühne mit Nils, Kathrin und Marina geliebt.

Dass die Geburtstagsgala jetzt auch schon wieder fast fünf Jahre her ist, kann ich kaum glauben. Was steht denn zum 15. Jubiläum an?

 

André: 2016 hast du in unserer ALL THE WORLD`S A STAGE – 400 Jahre Shakespeare Spielzeit in SHALL I COMPARE THEE TO A SUMMER’S DAY Shakespeare im Original gespielt. Manche Leute haben gedacht, du wärest gebürtige Engländerin! Wie kommt es, dass du das so drauf hast?

 

Cäcilie: Danke, wow, was für ein Kompliment. Ich habe einfach, seit ich vierzehn bin, ganz viel auf Englisch gelesen, geschrieben, gesprochen und gehört. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich liebe die englische Sprache wirklich sehr.

 

André: Ich weiß, dass du schon seit deiner Kindheit Vivien Leigh, Laurence Olivier, Noël Coward und natürlich Good Old Will verehrst. Das ist ja eigentlich ziemlich ungewöhnlich für ein Mädchen in dem Alter. Und grade in Zeiten, wo es noch kein Internet gab, und man nicht alle alten Filme oder Theateraufzeichnungen auf youtube ansehen kann - wie kam es dazu? Wie bist du deiner Obsession nachgegangen?

 

Cäcilie: Ich weiß nicht genau, wie das passiert ist! Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem immer sehr viel gelesen wurde, und Filme – besonders alte – habe ich schon früh gemocht. Als ich dann Schauspieler entdeckt habe, über die es nur englischsprachige Biographien gab, hatte ich eine Motivation, die Sprache noch besser zu erlernen. Sprache ist für mich unheimlich wichtig, deswegen habe ich auch freiwillig und mit viel Freude englische Sonette und Gedichte auswendig gelernt und Theaterstücke laut vorgelesen.

Damals habe ich mir Videokassetten per Brief bestellt und mein Taschengeld dafür ausgegeben – oder die Buchgeschäfte Londons unsicher gemacht.

 

André: Was meinst du ist der Unterschied zwischen dem „alten englischen Theater“ und dem aktuellen Regietheater an den großen Häusern, zum Beispiel in Berlin?

 

Cäcilie: Die britischen Schauspieler, die ich bewundere, die in den 1930ern bis 1960ern Bühnenstars waren, hatten nicht so lange Probenzeiten. Ich denke, dass so irre langes Proben und psychologisches Erfassen der eigenen Rolle und der Gefühle, die man selbst dazu hat, nicht bei jedem Stück hilfreich sind.

Das deutsche und das englische Theater kann man kaum vergleichen, da es bei uns immer noch diese bescheuerte Unterscheidung in E- und U-Kultur gibt. Wenn es mir als Zuschauer keinen Spaß macht, ins Theater zu gehen, warum sollte ich es tun? Und das erzählen mir auch viele Leute: dass ihre einzige Theatererfahrung mit dem Literaturkurs in der Oberstufe war, und dass es fürchterlich war. So jemand geht nie wieder freiwillig ins Theater! In England hat das Theaterspielen bereits in der Schule eine alte Tradition. Das würde uns auch nicht schlecht tun .

Was dieses Thema angeht, hat das narrenschiff in Unna im Jahr 2003 eine neue Seite aufgeschlagen.

 

Hier in Berlin gehe ich viel zu selten ins Theater. Wenn, dann gucke ich gerne Sachen an der Schaubühne. Mein deutscher Lieblingsschauspieler Mark Waschke ist dort Ensemblemitglied.

 

André: Du stammst aus einer Künstlerfamilie, die von Berlin nach Unna gekommen ist. Deine Eltern sind Theaterleute, haben unter anderen mit Fassbinder gearbeitet und dein Onkel war Rio Reiser. Man kann also sagen, dass du quasi dein ganzes Leben lang schon mit Kunst um dich herum aufgewachsen bist. In wiefern hat dich das geprägt?

 

Cäcilie: Hmm, schwierig. Ich kenne es ja nicht anders. Viel zu lesen, schreiben, spielen, zeichnen und basteln waren immer selbstverständlich für mich, und dafür bin ich unglaublich dankbar.

Eine musikalische Legende in der Familie ist natürlich ein großes Erbe. Für mich ist Rio ein genialer Künstler, der die deutsche Rockmusik nachhaltig geprägt hat. Immer wieder verletzend ist es, wenn Leute, die ihn nicht kannten und sich auch mit seinem Werk nie beschäftigt haben, gegen ihn als bekennenden Linken hetzen. Das ist zum Beispiel neulich wieder passiert, als das Rio Reiser Fest auf dem Platz der Kulturen stattfand. Was da auf dieser unsäglichen „Rundblick Unna“-Seite zu lesen war, ist unfassbar.

 

André: Aber zurück zu den „Good Old Times“. Du hast 2004 in der ersten Inszenierung von DAS BACCHANAL- frei nach Donna Tartts „Die Geheime Geschichte“ eine der Griechisch-Student*innen gespielt. Wir haben das Stück damals sehr geliebt und ich habe es dann noch 2 weitere Male in 2006 und 2013 inszeniert. Warum glaubst du hat dieser Stoff so eine starke Faszination auf uns? Wie hast du diese Zeit erlebt?

 

Cäcilie: Ach ja, „Das Bacchanal“. Eine sehr intensive Zeit in meinem Leben. So jung wäre ich einerseits gern noch mal, andrerseits bin ich froh, es nicht mehr zu sein. Deine Welt dreht sich nur um dich, und die Leidenschaft auf und hinter der Bühne ist alles.

 

Ich liebe Tartts Roman und frage mich, warum er immer noch nicht verfilmt wurde. Ich erneuere meine private Besetzungsliste alle paar Jahre, aber langsam sind alle Schauspieler, die ich ideal finde, zu alt. Philip Seymour Hoffman, der IDEALE Bunny, weilt nicht mehr unter uns.

Donna, make this happen!

 

Cäcilie: Die Charaktere im Roman sind einfach sehr gut geschrieben, und obwohl das Stück in der Gegenwart spielt, sind das sehr altmodische junge Menschen, die man eigentlich eher in den 30er oder 40er Jahren vermuten würde. Als Gegensatz gibt es dann zum Beispiel eine Figur wie Judy Poovey, die in der ersten Version grandios von Dorit Knoch verkörpert wurde, und die ich mit riesigem Spaß 2006 übernommen habe.

Und dann kommt natürlich dazu, dass es sich beim Bacchanal um einen spannenden Krimi handelt! Sex, Drogen, Griechischbücher – alles dabei.

 

André: In der letzten Spielzeit hast du in WILDE IM PARK Lady Bracknell gespielt und spielst sie im Januar auch wieder in der Indoor-Inszenierung von DIE WICHTIGKEIT, ERNST ZU SEIN. Als Frau der ersten Stunde kannst du das vielleicht mit dem Abstand dazwischen sehr gut beurteilen: würdest du sagen, die Art, wie wir inszenieren, hat sich im Laufe der Jahre grundlegend geändert? Was macht sie für dich aus?

 

Cäcilie: Von Anfang an hatte das tn einen sehr zuschauerfreundlichen Inszenierungsstil. Du, André, hattest schon immer einen filmischen Stil, und den hast du im Lauf der Jahre perfektioniert. Es macht einfach Spaß, deine Inszenierungen zu schauen. Ich glaube, deswegen kaufen die Leute in Unna (und im Umkreis!) Karten für deine Stücke: sie wissen, dass sie sich nicht langweilen werden.

Am narrenschiff liebe ich die Nestwärme. Ich habe dort viele Freundschaften geschlossen, die über die Jahre gehalten haben, und es kommen ständig neue, interessante Menschen dazu.

Und ich glaube, dass das Publikum sieht und spürt, wie viel Liebe in jeder einzelnen Inszenierung steckt. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Schauspieler nicht von der Arbeit im narrenschiff leben können. Gerade deshalb ist es so bemerkenswert, wie viel Zeit und Energie in die einzelnen Projekte gesteckt wird. Ich bewundere es, wenn Leute mit einer 40-Stunden Woche nach Feierabend noch vier Stunden Probe leisten und am nächsten Tag um 06:30 wieder zur Arbeit gehen. Das ist wahre Leidenschaft und das finde ich toll!

 

André: Gab es mal eine Rolle die dir besonders schwer fiel zu finden/zu erarbeiten? Wenn ja warum? Und was hat dann geholfen, sie zu finden?

 

Cäcilie: Madame de Tourvel (Gefährliche Liebschaften, 2003)fand ich anfangs schwierig. Sie scheint so ein klischeehaftes Mäuschen. Aber als wir dann unsere große Szene geprobt haben, gab es einen „Durchbruch“ (nicht Magen oder so), und von da an habe ich mich mit großer Leidenschaft der Dramatik und Tragik dieser Rolle verschrieben.

Oft helfen bei schwierigen Rollen ja auch die Spielpartner.

 

André: Findest du, dass Theater zu spielen etwas Heilendes haben kann?

 

Cäcilie: Absolut. Ich denke, jede Kunst kann heilen. Auch Natur und Tiere. Anderen helfen kann sehr heilen. Aber das Theater ist – für Theatermenschen – quasi eine Notaufnahme.

 

André: Was ist dein liebstes Theaterstück/Roman/ Literarisches Werk?

 

Cäcilie: Puh, zu viele.

Theaterstücke zum Beispiel „Fräulein Julie“, „Closer“, „Plötzlich, letzten Sommer“, „Die kleinen Füchse“, Shakespeare natürlich, Noel Coward, „Nora“, „Endstation Sehnsucht“, „Drei Schwestern“, „Die Wildente“ und alle Stücke, die ich schon gespielt habe sowieso.

Als Romanautorin liebe ich Daphne du Maurier, aber ich lese auch sehr gerne Biographien und Bücher zum Thema Tierrechte.

 

André: Ich weiß du bist ein wandelndes, zweisprachiges Zitatenbuch. Deswegen entscheide dich für ein Lieblingstheaterzitat einer deiner Rollen und für ein generelles Theaterzitat, welches dich begleitet.

 

Cäcilie: Das erste ist einfach:

„Nichts geht für immer verloren. Wir sehnen uns nach dem, was wir zurück gelassen haben, und träumen uns nach vorn. Jedenfalls glaube ich das.“ Harper Pitt, Angels in America

 

Cäcilie: Das zweite kommt von Laurence Olivier: „I believe that in a great city, or even in a small city or a village, a great theatre is the outward and visible sign of an inward and probable culture.“

 

André: Und zum Schluss noch die Gretchenfrage: Was ist Theater?

 

Cäcilie: Theater ist ein Ort der Träume. Und ein Ort der Möglichkeiten. Im Theater ist alles möglich. Das theater narrenschiff ist für mich Heimat.

Interview, Sommer 2017