Theater Narrenschiff

27/01/19

Interview mit Judith Binias über Ihre bevorstehende Produktion DIE VERBOTENEN FRÜCHTE - Eine Szenische Lesung

In drei Wochen findet bereits die Premiere von Judith Binias zweiter inszenierter Lesung im tn statt. Wir haben die Regisseurin zu dem Projekt interviewt und möchten euch so gerne erste Hintergrundinformationen  zu dem Theaterabend geben, der ausschliesslich aus Briefen besteht.

Nach SO WIE ICH BIN, gibt es jetzt eine neue szenische Lesung von dir. Ein Format, was nicht oft auf unserer Bühne stattgefunden hat. Was fasziniert dich an dieser Art von Theaterabenden?

Judith Binias: Es sind vor allem die Briefe, die mich immer wieder faszinieren. Die meisten von uns kennen die Werke oder das Wirken von unterschiedlichen berühmten Persönlichkeiten. Das, was eben veröffentlicht und eventuell sogar in der Schule oder der Universität durchgenommen wurde. Briefe hingegen sind sehr persönlich, so dass sie eine ganz besondere, unverfälschte Sicht der Personen wiedergeben. Es sind natürlich nur Perspektiven, aber wenn man sich die Briefe durchliest und dann die Werke noch einmal anschaut oder sich in die Biografie der Menschen vertieft, bekommt man Zugang zu einem sehr individuellen, inspirierenden und außergewöhnlichen Menschen.

Man könnte nun natürlich die Briefe ganz simpel vorlesen, was sicherlich schon sehr spannend wäre, aber eine szenische Lesung hat einen ganz besonderen Charme. Die Personen hinter den Texten werden greifbarer und natürlich realer.

 

Im letzten Stück standen vor allem Frauen im Fokus, die ihre Lebensgeschichten an Hand von Briefen darstellten. Was ist bei den "Verbotenen Früchten" der Fokus?

Judith Binias: L´amour! Es geht vor allem um die Liebe. Und zwar ungekürzt und frei von Dogmen. Man könnte sagen: für manche vielleicht schon zu unkonventionell.

 

Was fasziniert dich an diesem Thema?

Judith Binias: Während Meiners Studiums kam das Thema der romantischen Liebe auf. In der europäischen Literatur finden wir erst seit dem 18. Jahrhundert die Idee der romantischen Liebe, woraufhin sich auch die Kultur und Gesellschaft langsam veränderte. Weg von Zweckehe, hin zur Ehe aus Liebe.

Doch es gab nicht nur die klassische, romantische Liebe, wie wir sie seitdem kennen und weiter festigen. Das Bild von einer heteronormativen Zweierbeziehung. Es gab durchaus viele Texte, Bücher und Romane, in denen verschiedene Formen der Liebe thematisiert wurden - nur wurden diese Texte, wie man am wohl extremsten Beispiel des Marquis de Sade sieht, meistens aus dem Kanon ausgeschlossen. Ich will ja nicht sagen, dass meistens eine Kirche dahinter stand, aber meistens stand eine Kirche dahinter.

Mich fasziniert das Gedankenspiel, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn auch andere Formen der Liebe in der Mitte der westlichen Gesellschaft dargestellt werden würden.

Der kulturelle Kontext ist natürlich deswegen wichtig, weil wir unterschiedliche Vorstellungen der Liebe, Ehe, Sexualität und Beziehung in den unterschiedlichen Kulturen haben.

Dabei geht es mir nicht darum, eine Meinung zu vertreten, was nun gut oder schlecht ist als Konzept der Liebe, sondern um die Tatsache, dass es schon immer verschiedene Formen gegeben hat - und um Simone de Beauvoir zu zitieren: wir brauchen Auswahlmöglichkeiten, um wirklich frei zu sein.

 

Wie entscheidest du , was die Personen über ihr Leben berichten? Viele haben ja bestimmt mehr zu sagen, als das was in einem Abend Platz findet.

Judith Binias: Das haben sie! Der Abend ist mehr ein Appetizer, wie auch schon „So wie ich bin“. Es ist unmöglich, von allen alles darzustellen und auf die Bühne zu bringen. Natürlich arbeite ich vor allem das heraus, was mir beim Lesen ins Auge gefallen ist. Die verschiedenen Szenen sollen einerseits homogen sein, andererseits den individuellen Charakter der Personen darstellen und neugierig machen: die Szenen sind bloße, minimale Ausschnitte und es lohnt sich, allein schon rein literarisch, da tiefer einzutauchen.

Ich würde allerdings empfehlen, Marquis de Sade erst nach Simone de Beauvoir zu lesen und gemütlich mit Vita Sackville-West und Harold Nicolson anzufangen.

 

Was ist die Philosophie, der rote Faden des Abends?

Judith Binias: Freiheit. Ich glaube, es ist die Freiheit und die Frage, in wie weit Liebe überhaupt frei sein kann, wenn wir sie mit anderen teilen. Stoßen wir automatisch auf Grenzen, persönliche und gesellschaftliche, sobald wir eine Beziehung eingehen? Bedeutet Liebe Kompromisse?

 

Die meisten dieser Personen, die in der szenischen Lesung vorkommen, waren ihrer Zeit voraus. Glaubst du, dass es heute immer noch nicht in der breiten Masse angekommen ist?

Judith Binias: Ja, das glaube ich. Ich liebe Disney, gar keine Frage, aber wir haben immer die klassische Form der Liebe. Eigentlich in jedem Film. In nahezu jedem Buch und alles, was ein wenig anders ist, ist direkt „experimentell“ oder gehört eine „Szene“ an. Sei es das Thema der Homosexualität, Polyamorie oder Polygamie, oder ganz andere Konzepte wie beispielsweise Asexualität und eine Beziehung ohne körperliche Intimität. Das alles sind nur kleine Beispiele, die aber nur ganz langsam in der Gesellschaft ankommen.

Ich halte es aber für wichtig, besonders für Jugendliche, dass das Bild aufgebrochen wird. Man sucht natürlich immer in seinem Umfeld nach Vorbildern und Rollen, die einem helfen, sich selbst zu finden. Es kann daher schon frustrierend sein, wenn man seine Art der Liebe nicht findet und sich deswegen „falsch“ fühlt.

Wie gesagt, es geht dabei nicht darum, dass ich das eine Konzept besser als das andere finde, sondern schlichtweg um die Auswahlmöglichkeit.

Die Premiere von DIE VERBOTENEN FRÜCHTE findet am 17.2.2019 statt.

Weitere Aufführungen:  23.2. & 3./8./31.3.2019

Alle weiteren Infos zu der Produktion findet ihr  hier